Fazit meiner Sabbatical Week


Es verursacht mehr Ärger, Stress und Zeitverlust ständig mit offenem Schnürsenkel durch die Welt zu rennen - statt ihn kurz zu binden und wieder voll durchzustarten.

footprinter-Fazit der Sabbatical Week


Wer jetzt glaubt ich habe in dieser Woche den Berg der Erleuchtung bestiegen und bringe weltbewegende Erkenntnisse mit, den muss ich enttäuschen. Ich wusste theoretisch alles schon vorher. Doch Wissen ist nicht Tun. Wir können jemandem noch so viel Wissen über das Schwimmen beibringen, Trockenübungen machen, alle pysikalischen Gesetze pauken. Fakt ist: man lernt schwimmen, indem man schwimmt. Man lernt innere Gelassenheit - nur in der Stille.

Meine Vorstellung war: ich nehme fünf Bücher mit. Belese mich kräftig, habe Zeit für mich selbst. Danach komme ich hochmotiviert und befriedigt mit ganz viel Wissen im Trolley nach Hause.

Die Realität ist: Das Leben crasht unsere Erwartungen vom Leben. Wenn es hochkommt habe ich zwei halbe Bücher gelesen. Ich habe für mich gelernt, dass es für tiefgreifende Bewusstseinserfahrungen nicht viel Wissen braucht. Weniger ist sogar manchmal besser, um zur Einkehr zu kommen.

Ich finde die zweite, meine erlebte Version, um Welten besser. Meine innere Stimme hat mir gezeigt, dass weniger tatsächlich mehr ist. Dass selbstgemachter Lesestress eher kontraproduktiv ist. Dass es für Denkanstöße manchmal nur einen Satz, ein Erlebnis, eine Person braucht und keine Wissenschaft. Wenn wir das zulassen meldet sich unser Bewusstsein bei uns.

Vor meiner Reise habe ich mir sehr viele Fragen gestellt:

Was ist eigentlich der Sinn (m)einer Sabbatical Week? Warum sehnen wir Menschen uns manchmal nach Abgeschiedenheit und Zeit mit uns selbst? Warum wird ein Sabbatical in unserer Leistungsgesellschaft so kritisch gesehen? Warum wird eine Auszeit immer mit Schwäche und Ausgebranntheit gleichgesetzt? Ist es nicht eine Stärke auf seine eigenen Warnleuchten der Bewusstheit zu reagieren? Wir bringen unser Auto doch auch regelmäßig zur Inspektion und frischen es auf, oder? Wir gehen doch auch meist schon tanken, bevor die rote Leuchte angeht, oder etwa nicht? Warum stellen sich viele Krankenkassen so quer, was die Genehmigung von Kuren angeht?…..

Ich für mich, habe meine Anwort gefunden. Warum ich das mache. Ich wurde quasi von der Zeit mit mir selbst überzeugt. Es geht bei einer Sabbatical Week darum: mal ganz ohne Nebenkriegsschauplätze, Ablenkung und Störgeräusche in sich reinzuhorchen. Ne kleine Inventur zu machen. Ein Meeting mit uns selbst zu veranstalten - der wichtigsten Person in unserem Leben. Zu schauen, was ist da? Was nützt mir in meinem Leben? Was kann guten Gewissens in die Tonne? Ehrlich für sich festzustellen: Worin bin ich richtig gut? In welchem Bereich meines Lebens ist gerade Sand im Getriebe? Mache ich das, was ich gerade tue noch mit voller Leidenschaft? Bin ich zufrieden mit meiner Partnerschaft? Diese Fragen werden kommen - und sind gekommen. Das ist der Sinn und Zweck des Alleinseins. Sich mit sich, seinem Leben und dessen Dynamik zu konfrontieren. Sich neu auszurichten, Weichen zu justieren und auf sein Herz zu hören. Seine Schlüsse aus dem Gelernten ziehen und Erfahrungsschätze im „echten Leben“ berücksichtigen.

Der Leerlauf ist gar nicht so leer

Leider verwenden wir im Alltag unendlich viel Aufwand, um diesen, teils unangenehmen Fragen, zu entwischen. Jede Pause. Das bedeutet, jede Chance eines neuen Denkanstoßes wird knallhart verdrängt und für „wichtigeres“ genutzt. Ihr glaubt gar nicht, wo sich uns im Alltag alles Möglichkeiten zur Besinnung und Selbstreflexion bieten. An der Bushaltestelle, im Stau, im Wartezimmer, in der S-Bahn, wenn das Essen im Ofen ist, in der Halbzeitpause, wenn die Kinder im Bett sind, in der Mittagspause, im Aufzug, auf der Toilette, wenn der Partner beim Dinner aufs Klo geht,……….

Dieser Leerlauf ist gewollt. Es ist extra so eingerichtet worden, dass wir nicht non-stop in Action sind. Aber wie füllen wir den von uns unangenehm empfundenen, verschwendeten Leerlauf? Wir sind sowas von effizient und nutzen die Zeit bis zum Exzess aus. Nix wird verschenkt. Kein öffentliches WLAN. Kein winziges MB von 50 GB Datenvolumen wird verschenkt.

Mit Candy Crush, Whatsapp-Gruppen, Insta-Scrolling, Facebooking… Mit Angry Birds, Facetime, Insta-Stories aus dem Bushaltehäuschen, Modus Mio auf Spotify... Mit der Fütterung unserer imaginären Tiere, Livetickern, SkyGo, Mails checken, twittern und youtuben haben wir die Füllung für jedes zeitliche Loch in unserem Leben, wie unser Zahnarzt. Das führt zu selbst verursachter Reizüberflutung, hausgemachtem Stress und einem immens klaren Fokus aufs Leben, wie ihn ein Schlafwandler hat.

Branding der Gelassenheit

Ich habe diese Woche über mich gelernt, dass ich darauf angewiesen bin meinen Akku aufzuladen. Wer immer Vollgas gibt, wer immer lichterloh brennt - brennt irgendwann aus. Burning by doing - nenne ich das. Dass ich mir im Alltag viel zu selten Zeit für mich ganz persönlich freiblocke. Ich habe gelernt, dass, wenn man wirklich in sich selbst ruht: Ein bewusster Tag sich wie vier volle Tage anfühlen kann. Ich habe die Erkenntnis gesammelt, dass es sich wesentlich entspannter lebt, indem man öfter mal ein bewusstes „dürfen“, statt einem unbewussten „müssen oder sollte“ verwendet. Ich habe über mich gelernt, welche negativen Gedanken in meinem Hirn kursieren, wenn ich so im Strudel des Alltags stecke. Welchen Druck ich mir selbst auf meine Schultern auflade. Ich habe gelernt, mich bewusster im Spiegel anzuschauen und öfter „Ja“ zu mir zu sagen. Das mache ich viel zu selten. Ich habe gelernt ruhig zu bleiben, auch wenn mein geliehener Laptop von einer Kerze angeschmort wird. In dieser Situation war ich wohl fast zu entspannt. 😊 Des Weiteren habe ich gelernt, dass Gegenwind ganz schnell in Rückenwind umschlagen kann.

Die wichtigste Erkenntnis von allen ist wohl: das ist erst der Anfang. Mit dieser Woche mache ich zwar einen Haken dran an das Projekt, der eigentliche Weg, die eigentliche Challenge folgt jetzt erst. Oder ist die die Hochzeit etwa schon der Höhepunkt einer Ehe?! Die wirklichen Prüfungen und Erfahrungen kommen erst im Laufe der Ehe.
Ich möchte diese aufregende und wertvolle Zeit mit einer Beobachtung schließen.

Bevor ich diese Woche irgendetwas Besinnliches gemacht habe, hatte ich eine Routine. Mit Freude (oder zum Leidwesen des Laptops) habe ich stets zwei schöne weiße Kerzen angezündet. Das war eine absolut unterbewusste Handlung. Heute morgen habe ich diese beiden Lichtquellen zum ersten Mal eine ganze Zeit lang genauer gemustert. Kennt ihr das, wenn ihr euch beim Anblick von Lagerfeuer oder der Flamme einer Kerze so richtig verliert? Wenn ihr abdriftet von der Erde? Dachte ich mir. In diesem Moment sind wir ganz in der Bewusstheit und trotzdem unendlich weit weg. Wir sind fokussiert auf die Flamme, doch unsere Gedanken schweifen ungelenkt durch die Atmosphäre. Genau so war es bei mir heute.

Mir ist dabei folgende Geschichte gekommen:

Kerzenfüllung

Stellen wir uns einmal vor, dass bei unserer Geburt mit unserem allerersten Atemzug eine solche Kerze entzündet wurde. Anfangs war es noch eine recht zarte Flamme. Im Laufe der Jahre wurde sie stärker und begann so richtig zu brennen. Jede Brise Sauerstoff nahm sie dankend an und brannte mit einer unermüdlichen Ausdauer. Tag und Nacht. Vor allem in unserer unbekümmerten Kindheit brannte sie ziemlich erregt. Sie brannte bei all den neuen, spannenden Dingen, die wir zum ersten Mal ausprobiert hatten. Bei all den kleinen Erfolgen, die wir auf unserem Weg sammeln durften. Bei all der Freude, die wir am reinen Tun hatten. Anfangs war sie innerlich noch ziemlich hart. Das Wachs wurde jedoch von Tag zu Tag weicher in unserer Kerze. So weich, dass es bald ganz flüssig wurde. Wir waren zu dieser Zeit sehr vorsichtig und passten beim Tragen extrem auf, dass unser kostbares, flüssiges Wachs nicht verschüttet wurde. Wir behandelten sie mit einer solchen Sorgfalt und Liebe. Wir nahmen sie überall mit, setzten uns stundenlang einfach nur vor sie und genossen den Anblick und die Zeit mit ihr.

Im Verlauf der Jahre nahm unser Interesse schleichend ab. Wir bemerkten es gar nicht, dass wir sie oft zu Hause vergessen hatten. Unsere Hobbys, die Schule, Geld verdienen, Familie gründen und ein gutes Leben führen, lenkten uns ein wenig von der Kerze ab. Manchmal kam es vor, dass uns Mitmenschen schubsten und wir nicht verhindern konnten, dass das kostbare Wachs herausgeschleudert wurde. Der Verlust dieser paar Tropfen Wachs tat uns irgendwann nicht einmal mehr sehr weh. Wir glaubten immer noch genug Wachs im Inneren zu haben. Manchmal waren wir selbst verantwortlich und konnten sie bei einem Sturz nicht festhalten. Wir beschuldigten jedoch den Wind, die hohe Treppenstufe oder vorbeirennende Mitmenschen uns ein Bein gestellt zu haben. Das Auslaufen der Kerze konnten wir durch solche Verurteilungen jedoch auch nicht mehr rückgängig machen. Oft kamen auch unsere Eltern, Schulfreunde, Studienfreunde und Arbeitskollegen zu uns. Alle kamen doch offensichtlich in guter Absicht. Sie gaben uns ungefragt etwas von ihrem Wachs ab und schütteten es in unser Kerzeninneres. Am Anfang wehrten wir uns dagegen und wollten unser Heiligstes beschützen. Wir rebellierten und bekämpften das Wachs der anderen. Doch es war anstrengend, zu heiß und wir lernten zu akzeptieren, dass es wohl der Sinn des Lebens ist, Wachs anderer in uns aufzunehmen. Wir dachten lieber ein wenig Wachs von anderen, anstatt gar kein Wachs. So setzten wir unsere Reise durchs Leben fort.

Im Glauben so viel Wachs wie möglich von anderen sammeln zu müssen, verdoppelten wir unser Bemühen dieses flüssige Gold zu ergattern. Diese Momente lösten bei uns kurzzeitig Gefühle der Freude aus, vor allem wenn unsere Kerze mit fremdem Wachs überlief. Stolz gingen wir raus in die Welt. Auf dem Dorfplatz verglichen wir uns mit anderen Menschen, die auch fremdes Wachs in sich hatten. Es gab sogar Wettbewerbe und Preise, für diejenigen, welche die schönsten Kerzen mit dem meisten fleißig eingesammeltem Wachs hatten. Diejenigen, die noch relativ viel eigenes Wachs in ihren Kerzen hatten schauten sich diese Szene aus der Distanz an. Sie bekamen natürlich keine Anerkennung von anderen. Manchmal kam ein Gewinner vorbei und ermutigte sie doch auch mit dem Sammeln anzufangen und bot sogar sein Wachs an. Dann würden sie es auch mal aufs Podium schaffen und in der Ehre der anderen Menschen baden können. Den im Hintergrund bleibenden Menschen war das jedoch zu anstrengend. Sie verstanden nicht den Sinn, in völligem Stress das Wachs von anderen zu sammeln und sich damit auch noch feiern zu lassen. Sie wollten lieber auf ihr eigenes Wachs Acht geben, das machte sie glücklicher.
Wenn die Gewinner vom Dorfplatz wieder nach Hause kamen und im Moment des Triumphs die Kerze anschauten, fühlte es sich für sie nicht wirklich richtig und befriedigend an, das Wachs der anderen in sich zu tragen. Viele schoben dieses Gefühl schnell wieder beiseite, um sich auf den nächsten Wettkampf vorzubereiten.

Es gab aber auch andere, die das fremde Wachs, solange es noch flüssig war, ausschütteten und sich - schlagartig besser, echter und wieder wie ihr „altes Ich“ aus der Kindheit fühlten. Manche von ihnen hatten eine komplett bis zum Boden mit flüssigem Wachs gefüllte Kerze. Sie hatten es in ihrem Leben geschafft, den kompletten, ursprünglich festen Kern von innen heraus zu erwärmen und flüssig zu bekommen. Dies waren die glücklichsten von allen Einwohnern des Dorfes. Sie strengten sich schon sehr lange nicht mehr an, durch fremdes Wachs an Beliebtheit zu gewinnen. Sie waren auch die ersten die herausfanden, dass ihre Flamme mit eigenem Wachs viel länger und vor allem heller brannte.

Schlusssatz: Probiert es selbst aus! Ich kann es wirklich jedem empfehlen. Ihr könnt gar nicht von der Zeit mit euch selbst enttäuscht werden.

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