Sabbatical Week - Tag 2


Der Weg ins Meer der Unbewusstheit ist bequem

Tag 2 

Nach einer weiteren wunderbaren Nacht mit Sturmregen ist heute Regeneration für meinen Körper angesagt. Der Geist ist ja schon seit gestern in einem Entspannungszustand. Alles fühlt sich unheimlich friedlich und wohlig an. Nichts und niemand stört hier in dieser Oase meine Stille. – Völlig verrückt, wie sich mein ganzes Wesen verändert, wenn ich einmal die komplette Reizüberflutung ausschalte. – Beim Frühstück sagt mir meine innere Stimme: „Schreib heute was über unbewussten Konsum!“ Ich kann nicht anders und gehorche ihr, weil nichts auf dieser Welt mich heute ablenken könnte das zu tun.

Unbewusster Konsum

Wer mich morgens beim Frühstücken beobachten sollte, dem bietet sich ein interessantes Bild. Normalerweise habe ich in der einen Hand den Löffel meiner Porridge-Schüssel und in der anderen Hand mein Smartphone. Routiniert schiebe ich blind Löffel für Löffel in meinen Mund. Die Augen starr aufs Display gerichtet. Nebenbei schaue ich angespannt auf meine Uhr, um zu checken wie es um mein Zeitmanagement bestellt ist. Wenn ich beide Hände brauche, lehne ich das Handy oft noch an eine Wasserflasche. Bloß nichts verpassen beim Lesen. Könnt ihr euch das Bild vorstellen?

Ganz unwillkürlich öffne ich Whatsapp und Instagram. Mal schauen, was sich über Nacht so in der Welt getan hat. Ich scrolle ein bisschen rum. Wenn mich etwas ganz doll interessiert, vergesse ich oft nebenbei weiterzuessen. Dann öffne ich Spotify und lade mir Playlists und Podcasts für den Tag herunter.

Mittagspause. Das gleiche Bild. Ab und an unterhalte ich mich mit meinen Kollegen, um danach flugs wieder im Smartphone zu versinken. Meine Verlobte hat auch Mittagspause. Vielleicht will sie mir was Wichtiges mitteilen? Wenn ich jetzt nicht lese, dass sie eventuell von der Arbeit abgeholt werden will, ist sie bestimmt enttäuscht. Instagram ploppt auf. 13 Personen liken meinen Post. Fix schauen, wer denn das so ist. Neudeutsch Profilstalking. Switch zu Insta. Switch zu Whatsapp. Wieder switch zu Insta. Die Pausensirene ertönt. Mein Teller ist noch halbvoll. Kommen euch solche Situationen aus eurem Alltag bekannt vor?

Warum überhaupt Social Media?!

Um das Phänomen von digitaler Abhängigkeit und omnipräsenter Verfügbarkeit zu durchleuchten sollten wir uns erst einmal die Wurzel des Baumes anschauen.
Erinnern wir uns einmal zurück. Was war damals der Grund, warum wir uns für Social Media, Whatsapp, etc. entschieden haben? Jeder von uns kann diese Frage beantworten. Ich war nie der große Sympathisant von Social Media. Bis zu jenem Tag, als ich in der Oberstufe zum dritten Mal morgens um 7 Uhr einsam vor dem Klassenraum saß. Hast du nix mitbekommen? Mathe ist wieder ausgefallen. Wir haben es doch in der Facebook Gruppe geteilt, oder? Man kann jeden Startschuss einer Social Media Laufbahn getrost auf ein Grundbedürfnis herunterbrechen. Es ist ein unheimlich starkes Bedürfnis. ZUGEHÖRIGKEIT. 

Wir wollen soziale Kontakte pflegen, Anerkennung einheimsen, immer informiert sein, nichts mehr verpassen und berufliche Vorteile durch Networking generieren. Wir wollen dazugehören. Wir Menschen leiden unter Ausgrenzung - wenn wir aus einer Gruppe ausgeschlossen werden. Wir leiden unter Isolation - wenn wir nicht mitreden können in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Uni. Wir ziehen uns am Wochenende Inhalte rein, die uns gar nicht wirklich interessieren, nur um montags nicht wortkarg daneben stehen zu müssen.

Durch unsere Likes und Hashtags möchten wir über unsere Interessen stets uptodate sein. Wann ist die nächste Après-Ski-Party? Geil, ich bekomme unschlagbare Prozente auf die neuen Nike Air. Wie überragend ist denn die neue Bikini-Kollektion von Kim Kardashian bitte?! Der neue Bachelor ist menschlich zwar ein Arsch, aber er hat so heiße Augen! Komm lass mal liken. Ich will bei dieser Staffel wirklich mal am Ball bleiben. Entscheidungen wie diese laufen alle in unserem Unterbewusstsein ab. Das bedeutet auch, wir treffen diese unbewusst. Wir sind uns oft gar nicht bewusst über unser Handeln. Brauche ich die trendigen Plateau-Schuhe in meiner Schuhsammlung wirklich? Was bringt es mir am Strand eine Hugo Boss-Badeshorts zu tragen? Muss ich mir den Saugroboter kaufen, nur weil er lediglich noch heute im Angebot ist?

Die Vorteile von Social Media liegen auf der Hand. Wenn man dieses Werkzeug sinnvoll und bewusst nutzt. Wir können wunderbare Beziehungen aufbauen, Positivität in die Welt hinaustragen, anderen helfen, damit etwas dazuverdienen und die Welt ein Stück besser machen. Sogar Job- und Partnersuche können klappen. Aber tun wir das auch?! Oder lassen wir uns nur berieseln? Scrollen Tag für Tag völlig abgestumpft auf der Suche nach etwas, was uns wirklich noch reizvoll erscheint. Wir ziehen das Display nach unten und warten, bis unser Feed neu befüllt wird. Wir füttern also unser Hirn mit massenhaft Vorschlägen - ob brauchbar oder nicht.


Sind wir wirklich schon so abgestumpft?

Serien-Junkie?

Ja, es gibt sie. Serien-Junkies. Kaum ist eine Serie rum, wird die nächste inhaliert. Letztes Frühjahr war ich eine Woche krank. Krank genug, um daheim bleiben zu können, aber zu fit um ans Bett gefesselt zu sein. Ihr kennt das sicher. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo die Langeweile anfängt wehzutun. Ich schnappe mir die FireTVStick-Fernbedienung. Im selben Moment fällt mir ein, dass mir die Serie „Vikings“ empfohlen wurde. Ehe ich mich versehe, bin ich mittendrin in der Wikingerwelt. Just am Ende jeder Folge, kurz vor dem Abspann, steigt jedes Mal die Spannung. Die Serie ist so perfide gemacht. Ich glotze mich in einen wahren Rausch. Schließlich gönne ich mir eine geballte Staffel. Am Stück. Mit Pipipausen. Abends sitze ich auf dem Sofa und fühle in mich hinein. Ich bin leer und ausgebrannt. Warum habe ich mir 5 Stunden blutrünstiges Schlachten, Machtfehden unter Brüdern, Sexismus und Vergeltungskämpfe reingezogen?!?! Ich bin leicht geschockt. Aufgrund einer Empfehlung und clever inszenierter Spannungsbögen habe ich es geschafft, innerhalb kürzester Zeit total abzustumpfen. Die Unbewusstheit hat mir den Schneid abgekauft. Danach war ich kurzzeitig echt down. Zur Erhellung meines Gemüts habe ich demonstrativ eine Comedy-Serie gesuchtet. Auch nicht viel besser…

Konsolen-Suchti

Ich versetze mich zurück in meine Jugendzeit. Nach jedem Schultag gibt es nur ein Ziel. Die Konsole. Als Fußballer gibt es für mich nur ein relevantes Spiel. FIFA…
Bei mir sind Controller-Batterien immer auf Vorrat. Wenn man die Betriebsstunden der XBOX in € umrechnen würde, dann wäre.....ihr wisst schon. Ich bin latent suchtgefährdet. Ehrgeizig. Für mich ist jeden Tag WM-Finale. Wenn ich verliere, bin ich sauer. Wenn ich gewinne bin ich noch geiler auf weitere Siege. Nach jeder Niederlage werde ich verbissener. Wie wild verfluche ich die Ungerechtigkeit des Spiels. Das Vokabular erspare ich uns an dieser Stelle. Meine Energie entlädt sich regelmäßig auf dem Sofa. Oder der Tischplatte. Selten fliegt auch mal ein Controller quer durch die Luft. Ich muss mir selbst beweisen, unschlagbar zu sein. Wenn ich gewinne werde ich nicht satt, ich will mehr! Das Ganze geht soweit, dass ich mich isoliere. Abendessen? Egal. Besuch? Nächstes Mal. Ich beende meine Sessions nur, wenn der Frust groß genug ist. Zähnefletschend und voller Flüche ziehe ich dann unsanft den Stecker. Oft habe ich tagelang Druckstellen an beiden Daumen…

footprinter-Erkenntnis des Tages:

Unbewusstheit wird einem nur in Momenten des vollen Bewusstseins bewusst. Leider treffen wir im Leben viel zu oft unbewusste Entscheidungen und wundern uns später über deren Auswirkungen. Auf diese Weise geben wir Verantwortung und die Macht über unser eigenes Leben an andere Menschen oder Dinge ab. Als Herdentiere laufen wir unbewusst immer den Leitschafen und Trendsettern hinterher.  Denn ein „unbewusstes Ja“ ist viel einfacher als ein „bewusstes Nein“.

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